Industrielle Energiespeicherung - heiß ist die Hoffnung am Karlsruher Institut für Technologie
Industrielle Energiespeicherung - heiß ist die Hoffnung am Karlsruher Institut für Technologie
Flüssiges Metall hat großes Potenzial zur Dekarbonisierung der Industrie: Am Karlsruher Flüssigmetalllabor Kalla forscht Klarissa Niedermeier an Hochtemperatur-Wärmespeichern. Bild: Markus Breig, KIT
Mithilfe von Flüssigmetall wollen Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) in Zukunft Wärme bei extrem hohen Temperaturen speichern. Der weltweit erste Prototyp eines Flüssigmetall-Wärmespeichers mit einer Kapazität von 100 Kilowattstunden Wärme hat laut KIT gezeigt, dass das Prinzip funktioniert und großes Potenzial für die Defossilisierung der Industrie bietet.
Für die Stahl- oder Glasindustrie wäre es ein Quantensprung: Öfen mit erneuerbaren Energien heizen. Das ist eines der Ziele von Dr. Klarissa Niedermeier. Sie entwickelt einen Wärmespeicher für Temperaturen von über 700 Grad Celsius. Der Clou: Er funktioniert mit Flüssigmetall. Sollte es bei der Entwicklung von Wärmespeichern eine Königsdisziplin geben, dann wären es laut KIT Hochtemperatur-Wärmespeicher. Diese Anlagen, die für industrielle Zwecke eingesetzt werden sollen, speichern Energie in Form von Wärme und erreichen dabei Temperaturen von über 500 Grad Celsius. Flüssigsalze oder Feststoffe sind bei der Speicherung der Energie die Mittel der Wahl. Doch wie bei anderen Wettbewerben gibt es auch bei den Wärmespeichern ein noch höheres Ziel, so etwas wie den „Ironman“ unter den Vorhaben: Wärme von über 700 Grad Celsius zu speichern – so heiß wie Lava. In diesem Bereich werden bisher Gase als Medium eingesetzt, die mit Strom aufgeheizt werden. Anschließend transportieren sie ihre Wärme bis zu einem Speichermaterial, das die Hitze aufnimmt, beispielsweise Stahl, Vulkanstein oder Schlacke. Doch Dr. Klarissa Niedermeier vom Institut für Thermische Energietechnik und Sicherheit des KIT will in dieser Kategorie einen ganz neuen Weg einschlagen.
Im Wärmespeicher wird flüssiges Blei-Bismut als Wärmeträger eingesetzt. Bild: KALLA
Wärme leiten, aber 100-mal besser
Die promovierte Verfahrenstechnikerin hat mit ihrer Forschungsgruppe einen Wärmespeicher auf Blei-Bismut-Basis entwickelt. Sie ist damit eine der ersten weltweit, die auf den Einsatz von Flüssigmetallen im Wärmespeicher setzt: „Die Wärmeleitfähigkeit von Flüssigmetallen ist 100-mal größer als die von anderen Materialien“, so Niedermeier. „Sie können Energie also extrem gut transportieren und weitergeben.“ Seit rund sechs Jahren arbeitet die Wissenschaftlerin an der Technologie. Die 35-Jährige will damit ressourcenintensiven Branchen helfen, die wetterabhängigen erneuerbaren Energiequellen besser zu nutzen. Denn Industrieprozesse schlucken in Deutschland 400 Terawattstunden Wärme im Jahr, das sind 20 Prozent des gesamten Energiebedarfs der Bundesrepublik. Ob Stahl, Glas, Zement oder Beton: Es wird tagein tagaus bei bis zu 3 000 Grad Celsius gebrannt, geschmolzen und getrocknet. Die Temperaturen müssen dabei stabil bleiben. „Dafür werden bisher zu 90 Prozent fossile Brennstoffe eingesetzt“, erklärt die Ingenieurin. „Das muss sich ändern.“ Ansätze gibt es schon, beispielsweise die Elektrifizierung von Prozessen oder die Verwendung von Wasserstoff als Energieträger. Mit ihrem Wärmespeicher auf Flüssigmetallbasis will Niedermeier den Firmen eine Lösung bieten, um die Fluktuationen des Stromangebots aus erneuerbaren Quellen abzufedern und eine Energiespeicherung zu ermöglichen, die einfach, kostengünstig, schnell und bei Temperaturen ist, die so nah wie möglich an denen der Industrieprozesse sind.
Keramikkügelchen als Speichermaterial
Das Prinzip des neuartigen Systems: Strom heizt das flüssige Blei-Bismut, das sich in einem Kreislauf befindet, auf über 700 Grad Celsius auf. In einem Stahltank sickert dann das Flüssigmetall zwischen klitzekleinen, weißen Keramikkügelchen hindurch. Dabei gibt das Blei-Bismut seine Hitze an die Kügelchen ab, die als Speichermaterial fungieren. Wenn die Wärme wieder gebraucht wird, läuft das abgekühlte Flüssigmetall zwischen den Kügelchen zurück und heizt sich dadurch auf mehr als 700 Grad Celsius auf. Die Simulationen, die Klarissa Niedermeier und ihr Team am Flüssigmetalllabor Kalla (Karlsruhe Liquid Metal Laboratory) des KIT durchgeführt haben, zeigen: Mit Blei-Bismut kann der Wärmespeicher schneller aufgeheizt und dichter gepackt werden als mit Gas. Man benötigt also kleinere Rohre und weniger Platz, spart Kosten und Zeit. Warum wurde nicht schon früher daran gedacht, Flüssigmetall in Wärmespeichern zu nutzen, wenn es so vorteilhaft klingt? Der erste Grund sei logistischer Natur, so Niedermeier. Es gebe nicht viele Kreisläufe auf der Welt, in denen ein solcher Wärmespeicher getestet werden kann. Das Kalla habe jedoch aus den Zeiten der Kernkraftforschung einen großen Blei-Bismut-Kreislauf, der ursprünglich für die Erforschung der Kühlung von Brennstäben errichtet wurde und nun auch für neue Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien genutzt wird. „Der Kreislauf ist seit mehr als 20 Jahren in Betrieb. Das Team hat also viel Know-how aufgebaut“, erklärt Niedermeier. „Hinzu kommt, dass Flüssigmetalle korrosiv sind, vor allem bei hohen Temperaturen. Dafür werden am KIT spezielle Stahllegierungen für Rohre und Kreislaufkomponenten entwickelt.“ Ein weiterer Grund, warum sich wenige Forschende mit Flüssigmetallen in Wärmespeichern beschäftigen, sei physischer Natur: An sich können diese speziellen Metalle Wärme nicht gut speichern. „Man muss also erst mal auf die Idee kommen, dass man Flüssigmetall nur als ‚Transportmittel‘ nutzt und nicht als Speichermaterial im Tank selbst“, erläutert die Ingenieurin.
Prototyp im Labormaßstab: Die Keramikkügelchen speichern die Wärme. Bild: KALLA
Noch viele Forschungsfragen offen
Trotz aller Vorteile stellt Niedermeier klar: „Es gibt noch viele offene Forschungsfragen.“ Der Wärmespeicher sei bisher bis 400 Grad Celsius getestet worden und das System sei noch nicht optimiert. Die Forschungsgruppe sucht zum Beispiel ein kostengünstigeres Speichermaterial und versucht gleichzeitig, die Energiedichte weiter zu verbessern. Zudem müssen Pumpen und Ventile für geschmolzenes Blei-Bismut für Temperaturen über 500 Grad Celsius getestet werden. Auf der Industrieschau Hannover Messe 2024 stellte die Forscherin einen Prototyp vor. Die Nachbildung seines Wärmespeichers, etwa halb so groß wie der tatsächliche Versuchsspeicher am KIT, der für die Speicherung von 100 Kilowattstunden Wärme designt ist. Niedermeier erklärt: „Das ist der erste Flüssigmetall-Wärmespeicher dieser Art weltweit mit einer solchen Kapazität. Uns geht es darum zu zeigen, dass das Prinzip funktioniert und ein riesiges Potenzial für die Defossilisierung der Industrie hat.“ Quelle: KIT