Warum die Dekarbonisierung der Eisenherstellung die Art und den Ort der Eisenproduktion verändern wird, stellt das Marktforschungsunternehmen Steelwatch in einer aktuellen Studie vor. Die Analysten gehen im nachfolgenden Beitrag der Frage nach, was transportables grünes Eisen ist, wo es hergestellt oder verwendet werden könnte, welche Vorteile transportables grünes Eisen bieten kann und gehen auf häufige Bedenken und Lösungen dafür ein.
Die Eisen- und Stahlherstellung gehen oft Hand in Hand und finden am selben Ort in integrierten Stahlwerken statt, wo Eisenerz zu Eisen reduziert und geschmolzenes Eisen zur Herstellung von Stahl verwendet wird. Der Übergang zu einer dekarbonisierten, auf erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft schafft Impulse, die die Art und den Ort der Eisenherstellung verändern werden.
Der Transport von grünem Eisen zwischen Ländern ist ein relativ neuer und unterschätzter Beitrag zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie. Einige Akteure der Stahlindustrie sehen darin ein Risiko. Die Vorteile – für Unternehmen, für Länder und für die Bewältigung der Klimakrise – müssen als gangbarer Schritt zur Dekarbonisierung der Stahlindustrie stärker beachtet werden.
Die Auswirkungen der Stahlindustrie auf das Klima sind hauptsächlich auf die kohlebasierte Eisenerzeugung in Hochöfen zurückzuführen. Hochöfen machen rund 90 % der weltweiten Primäreisenproduktion aus und sind die Grundlage für 70 % der weltweiten Stahlproduktion.
Eisenerzeugung und Stahlherstellung sind unterschiedliche Prozesse. Eisen ist der Rohstoff für die Stahlherstellung, ein Zwischenprodukt in der Verarbeitungskette zwischen Eisenerz und Stahl. ###Eisen wird auf verschiedene Weise hergestellt, weshalb unterschiedliche Begriffe verwendet werden: Primäreisen (Eisen aus Eisenerz, im Gegensatz zu Schrott) ist hauptsächlich flüssiges Roheisen oder direkt reduziertes Eisen (siehe Glossar). Transportables grünes Eisen bezieht sich hier auf Eisenbriketts, die durch direkte Reduktion mit grünem Wasserstoff hergestellt werden.
Was ist transportables grünes Eisen?
Traditionell wird Primäreisen mit Koks in einem Hochofen hergestellt. Bei etwa 1500 °C entsteht geschmolzenes Roheisen, zusammen mit Tonnen von CO2. Ein neuer Ansatz ist die direkte Reduktion von Eisenerz (DRI) unter Verwendung von Gasen in einem Ofen oder einer Brennkammer, wobei sogenannter Eisenschwamm, direkt reduziertes Eisen (direct reduced iron, DRI) entsteht. Obwohl es noch sehr heiß ist (600–700 °C), ist es in Form von Pellets fest.
In den letzten Jahrzehnten hat die Direktreduktion einen Anteil von etwa 10 % an der weltweiten Primäreisenproduktion erreicht, wird jedoch mit fossilen Brennstoffen (Erdgas, im Falle Indiens Kohle) betrieben. Um die Dekarbonisierung voranzutreiben, wird seit kurzem stattdessen grüner Wasserstoff verwendet. Dieses H2-DRI-Verfahren (direkte Reduktion von Eisenoxiden mit grünem Wasserstoff) ist heute die einzige verfügbare Technologie zur Herstellung von Eisen mit nahezu null Emissionen. Das Produkt von H2-DRI wird als „grünes Eisen“ bezeichnet, technisch spricht man von nahezu emissionsfreiem DRI.
DRI, das nicht vor Ort verwendet wird, wird in Form von Briketts transportiert. Diese werden geschmolzen und anschließend entweder in einem Elektrolichtbogenofen (EAF) oder in einer Kombination aus Elektroschmelzofen und Sauerstoff-Blasstahlkonverter (BOF) zu Stahl verarbeitet. Nahezu emissionsfreies DRI in Form von Briketts bezeichnen wir als „transportables grünes Eisen“.
Maximierung der Nutzung erneuerbarer Energien bedeutet Entkopplung von Eisenerzeugung und Stahlherstellung
Historisch gesehen wurden Eisenerzeugung und Stahlherstellung am selben Standort, dem sogenannten integrierten Stahlwerk, durchgeführt, was sich unter energetischen Gesichtspunkten erklären lässt. Die Nähe zu Kohle- oder Gaslieferanten war meist ausschlaggebend für den Standort vieler kohlebefeuerter Hochöfen und fossiler Gas-DRI-Anlagen. Die Ansiedlung der Stahlherstellung direkt am Standort der Eisenherstellung ermöglicht Energieeinsparungen: Das heiße Eisen aus der Eisenherstellung gelangt direkt in die Stahlherstellung, sodass kein erneutes Erhitzen erforderlich ist. Kohlebefeuerte Hochöfen geben außerdem überschüssige Energie ab, die Stahlwerke inzwischen auffangen und wiederverwenden können.
In Zukunft wird der Zugang zu erneuerbaren Energien zunehmend die Standorte der grünen Eisenproduktion bestimmen. Da grünes H2-DRI auf die Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff aus erneuerbaren Energien angewiesen ist, wird die Eisenerzeugung in Regionen mit größerer Kapazität zur Erzeugung erneuerbarer Energien verlagert werden, insbesondere in solche, die auch über Eisenerz verfügen.
Gleichzeitig ist eine Verlagerung der Stahlproduktion weniger wahrscheinlich, da Stahlhersteller in der Nähe ihrer Endverbraucher wie Automobilhersteller oder Haushaltsgeräteproduzenten bleiben wollen. Die Umstellung auf eine emissionsarme DRI-Eisenherstellung wird durch die Entkopplung von Eisen- und Stahlproduktion erleichtert. Der Transport5 von grünem Eisen verbindet beide wieder miteinander.
Heute sind die größten Stahlproduzenten in der Regel auch die größten Eisenproduzenten. Einige Stahlhersteller werden auch weiterhin Eisen produzieren. Die H2-DRI-basierte Eisenherstellung verringert die Vorteile der Eisen- und Stahlproduktion an einem Standort, insbesondere in Bezug auf die Energieeffizienz, jedoch nicht vollständig.
Inwieweit sich die Eisenerzeugung verlagert, wird vom jeweiligen Marktkontext abhängen. Mit dem wachsenden Anteil von H2-DRI an der weltweiten Primäreisenproduktion wird es jedoch vermehrt zu einer eigenständigen Eisenerzeugung an Standorten mit reichlich erneuerbarer Energie kommen, von wo aus grünes DR-Eisen zu Stahlwerken in der Nähe der Endverbraucher transportiert wird.
Transportfähiges grünes DRI kann die Stahlherstellung dekarbonisieren
Die Dekarbonisierung der globalen Stahlindustrie ist ein gewaltiges Unterfangen, das angesichts des Klimawandels zu langsam voranschreitet. Die mangelnde Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff – teilweise aufgrund der Knappheit erneuerbarer Energien – ist dabei ein großes Hindernis. Die Nutzung von Hotspots für erneuerbare Energien für die Eisenproduktion ist von unschätzbarem Wert, um diese Einschränkung zu beseitigen und den Wandel zu beschleunigen.
Im Vergleich zur ausschließlichen Nutzung von H2-DRI in bestehenden Stahlwerken bietet der Handel mit grünem Eisen mehrere Vorteile: Er kann die Machbarkeit verbessern, die Kosten senken, den Transportbedarf für Materialien reduzieren und verschiedenen Akteuren eine Reihe von Vorteilen bringen.
Der Handel mit grünem Eisen kann Kosten sparen
Es gibt erste Belege für Kosteneinsparungen, die durch die Produktion von grünem Eisen in Hotspots für erneuerbare Energien erzielt werden können. Eine Studie schätzt, dass die weltweiten Stahlproduktionskosten durch den Handel mit grünem Eisen um 2 bis 4 Prozent gesenkt werden können, verglichen mit einem Szenario, in dem die DR-Eisen- und Stahlproduktion weiterhin an einem Standort erfolgt.
Die Kosteneinsparungen sind in Ländern mit dem begrenztesten Zugang zu erneuerbaren Energien am höchsten. Im Falle Japans schätzen Studien die Differenz zwischen den Stahlproduktionskosten von lokal hergestelltem H2-DR-Eisen und aus Australien oder Kanada importiertem H2-DRI auf etwa 30 %. In West- oder Mitteleuropa oder in Südkorea wären die Produktionskosten pro Tonne Stahl mit aus Kanada importiertem H2-DRI um etwa 20 % günstiger als mit lokal produziertem H2-DRI. Ähnliche Ergebnisse ergeben sich beim Vergleich der Produktionskosten von in Deutschland hergestelltem Stahl mit lokal hergestelltem H2-DRI und H2-DR-Eisen aus Australien.
Transport von grünem DR-Eisen erfordert weniger Transportkapazitäten
Die Versorgung einer typischen DRI-Anlage mit einer Kapazität von 2,5 Mio. t pro Jahr mit Eisenerz und grünem Wasserstoff, die separat aus Übersee verschifft werden, würde den Transport von 3,5 Mio. m³ Material pro Jahr bedeuten und mit technischen Herausforderungen und Klimarisiken verbunden sein, die mit dem Transport von Wasserstoff über große Entfernungen einhergehen. Umgekehrt würde der Transport der gesamten Anlagenproduktion – 2,5 Millionen Tonnen grünes DRI in Form von heißbrikettiertem Eisen ((hot briquetted iron, HBI) – eine Transportkapazität von 0,75 bis 1 Million m³ erfordern, also weniger als ein Drittel des Volumens,9 wie in Abbildung 4 dargestellt.
Höherwertiges Exportgut für Eisenerzlieferanten
Die größten Eisenerz exportierenden Länder könnten heute die größten Vorteile haben, da sie in der Regel auch über ein hohes Potenzial an erneuerbarer Energie verfügen. Sie haben also die Möglichkeit, in der Wertschöpfungskette aufzusteigen und ein weiterverarbeitetes Produkt – Eisen statt Eisenerz – zu exportieren.
Eine Studie von Deloitte und WWF Australia kommt zu dem Schluss, dass „der Aufbau von Produktionskapazitäten für grünes Eisen für Australien den klarsten Weg darstellt, um in der Wertschöpfungskette für grünen Stahl wettbewerbsfähig aufzusteigen“ und ein Potenzial von 60 bis 185 Milliarden Dollar pro Jahr bietet.
Die Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas (MENA) verfügen über weniger Eisenerz, haben aber aufgrund ihres erheblichen Potenzials für erneuerbare Energien das Potenzial, grüne Eisenproduzenten zu werden. Dies könnte durch den Import von Eisenerz und die Produktion von grünem DR-Eisen für den Export in Stahl produzierende Länder genutzt werden.
Stahlhersteller von heute können von grünem Eisen profitieren
Für einige Eisen- und Stahlproduzenten (Japan, Südkorea und bestimmte europäische Länder), in denen die Produktion von erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff begrenzt ist, könnte die vollständige Umstellung der bestehenden Hochofen-Eisenproduktionskapazitäten auf grünes H2-DRI eine Herausforderung darstellen. Der Import von grünem DR-Eisen wird daher einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung des Eisen- und Stahlsektors leisten.
In den USA und China dürfte die Dekarbonisierung des Sektors weniger von importiertem grünem DR-Eisen abhängen, aber dennoch von der Entkopplung der Eisen- und Stahlherstellung innerhalb des Landes profitieren, wobei transportfähiges grünes Eisen aus Regionen mit besseren Bedingungen für die Erzeugung von erneuerbarem Strom und grünem Wasserstoff bereitgestellt wird.
Der Verlust einiger Eisenproduktionskapazitäten bedeutet nicht den Verzicht auf die Stahlproduktion. Der Import von grünem DR-Eisen aus günstigeren Standorten senkt sogar die Kosten für die Dekarbonisierung und die Produktion von grünem Stahl und stärkt damit die Wettbewerbsfähigkeit der lokalen grünen Stahlproduktion.
Mehrere Stahlhersteller, insbesondere in Industrienationen, stellen bereits auf EAF um, die hauptsächlich mit Schrott betrieben werden, aber für eine optimale Qualität einen gewissen Anteil an neuem Eisen benötigen. Transportfähiges DRI kann EAFs versorgen, Schrott ergänzen und eine hochwertige, emissionsarme Produktion gewährleisten (vorausgesetzt, es wird erneuerbare Energie verwendet). Mit dem Fortschreiten der EAF-Stahlproduktion wird der Zugang zu transportfähigem grünem Eisen daher immer wichtiger.
Innovationen durch neue Akteure in der Eisen-, Stahl- und Energieindustrie
Die Entkopplung von Eisenerzeugung und Stahlherstellung eröffnet neuen Akteuren Chancen. Innovation und verstärkter Wettbewerb können die Dekarbonisierung beschleunigen und Kosten senken. Neue Marktteilnehmer wie Stegra in Schweden nutzen bereits erneuerbare Elektrizität zur Produktion von grünem Eisen für den Export.
Eisenerzförderer wie Fortescue in Australien und Entwickler von erneuerbarer Elektrizität und Wasserstoff wie CWP steigen in die Eisenherstellung ein, um in der Wertschöpfungskette aufzusteigen. Produzenten grüner Energie, die in der Regel durch den schwierigen Transport von Elektrizität und Wasserstoff über große Entfernungen eingeschränkt sind, gewinnen durch die Einbettung des Wasserstoffs in grünes Eisen neue Exportmöglichkeiten.
Herausforderungen für transportables grünes Eisen
In Ländern mit bestehender Stahlproduktion wird die Stahlherstellung oft als Grundlage der nationalen Souveränität und als Stolz einer Industrienation angesehen. Sie wird auch als wesentlicher Bestandteil für große Fertigungsindustrien wie den Automobilsektor sowie für strategische Industrien wie die Verteidigung geschätzt. Die Verlagerung der Eisenherstellung ins Ausland wird als potenzielle Bedrohung angesehen und ist daher politisch schwer zu diskutieren. Da die größten Stahlproduktionsländer heute jedoch bereits auf importiertes Eisenerz angewiesen sind, erhöht der Handel mit grünem Eisen die Abhängigkeit von anderen Ländern nicht. Die Importe von grünem Eisen werden voraussichtlich aus den derzeitigen Eisenerzlieferländern wie Australien, Brasilien, Südafrika und Kanada stammen. So können die derzeitigen Stahl produzierenden Länder weiterhin Stahl herstellen, gleichzeitig die Dekarbonisierung vorantreiben und den neuen Handel mit grünem Eisen mit langjährigen Handelspartnern nutzen.
Bewältigung des Wandels in der Eisenerzindustrie
Die Umstellung auf Importe von grünem Eisen wirft Bedenken hinsichtlich des Verlusts von Arbeitsplätzen auf. Die Eisenerzeugung macht weniger als 10 % der Arbeitsplätze in der Stahlwertschöpfungskette aus, und genau diese Arbeitsplätze könnten wegfallen. Die Nettoarbeitsplätze werden an verschiedenen Stellen der Wertschöpfungskette und an verschiedenen Standorten zu- und abnehmen und es gibt noch keine verlässlichen Schätzungen zu den Gesamtauswirkungen. Es muss eine gerechte Übergangsstrategie zur Unterstützung der betroffenen Arbeitnehmer geben. Langfristig würde ein Scheitern des Übergangs den gesamten Stahlsektor gefährden, einschließlich der Stahlherstellung und der Endbearbeitung, die über 90 % der Arbeitsplätze ausmachen.
Praktische Bedenken: Sicherheit und Energieeffizienz
Bedenken hinsichtlich der Sicherheit des Transports von Eisen sind weit verbreitet. DRI kann bei Kontakt mit Luft oder Wasser reoxidieren, was zu Brandgefahr und physikalischer Zersetzung während des Transports führt. Durch die Brikettierung von heißem DR-Eisen zu HBI werden diese Risiken jedoch gemindert, und HBI ist bereits ein handelsüblicher Rohstoff (wenn auch aus fossilen Brennstoffen hergestellt). Projekte wie HBI C-Flex untersuchen, ob H2-DRI zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen für die Handhabung und den Transport erfordert.
Das Wiederaufheizen von abgekühltem Eisen für die Stahlherstellung ist ebenfalls energieintensiv, während die direkte Zuführung von heißem DR-Eisen in die Stahlproduktion Energie spart. Die Wirtschaftlichkeit hängt jedoch von den Kostenunterschieden für erneuerbaren Strom und Wasserstoff zwischen dem Standort des Stahlwerks und den Ländern mit optimalen Bedingungen für die Erzeugung von erneuerbarer Energie und Wasserstoff ab. Die lokalen Gegebenheiten werden den kostengünstigsten Ansatz bestimmen.
Zukunft von grünem Eisen
Die Entwicklung von transportablem grünem Eisen als neuer Rohstoff erfordert Maßnahmen in der gesamten Branche. Bestehende Stahlproduzenten sollten ihre Lieferketten durch Beschaffung oder Investitionen ausbauen, während Eisenerzproduzenten und Produzenten grüner Energie sich auf die neuen Möglichkeiten einstellen, die transportables grünes Eisen bietet. Regierungen und politische Entscheidungsträger werden eine wichtige Rolle spielen, indem sie Investitionen, Handelspolitik und Diplomatie unterstützen.
Der Erfolg dieser Transformation hängt von der Bereitschaft zu ehrlichen Gesprächen und Verhandlungen ab, bei denen die Klimabeschränkungen und die Widerstandsfähigkeit einer zukunftsfähigen Industrie im Vordergrund stehen.
Die Dekarbonisierung der Eisen- und Stahlherstellung bedeutet mehr als nur den Ersatz von Kohleöfen durch H2-DRI-Anlagen. Sie erfordert strategisches Denken und die Erkenntnis, dass bestimmte Umbrüche – beispielsweise in Bezug auf den Ort der Eisenproduktion und die Produzenten – nicht nur unvermeidlich, sondern für die Beschleunigung der Dekarbonisierung sogar unerlässlich sind.
Der Wandel sollte nicht gefürchtet werden. Angesichts der Klimakrise stellt sich nicht die Frage, ob sich die Industrie einen Wandel leisten kann, sondern ob sie es sich leisten kann, ihn nicht zu vollziehen.
Quelle: SteelWatch