Wer bezahlt den Wandel zur Nachhaltigkeit?
Allerdings gibt es den Umstieg auf Wasserstoff und grünen Stahl nicht umsonst, sagt Christian Vietmeyer, der Hauptgeschäftsführer des Wirtschaftsverbands Stahl- und Metallverarbeitung. Dem Verband gehören jene Unternehmen an, die Rohmetalle weiterverarbeiten – beispielsweise Stahl zu Autoteilen. „Unsere starke Vermutung ist, dass die Autoindustrie als Erste klare Forderungen nach Stahl mit deutlich besserer CO2-Bilanz stellen wird. Doch dieser Stahl wird zunächst teurer sein.“ Die Stahlhersteller forderten bereits, der Staat müsse den grünen Wandel subventionieren, damit die deutsche Stahlproduktion künftig konkurrenzfähig gegenüber konventionell erzeugtem, billigerem Stahl aus dem Ausland bleibe. „Das sehen wir sehr kritisch, weil das zu dauerhaften Subventionstatbeständen führen würde.“ Und so sei bislang noch offen, wie die Transformation zu einer grünen Stahlerzeugung finanziert werden könne. „Unserer Ansicht nach muss das ordnungspolitisch vom anderen Ende her gedacht werden – über die Nachfrage beim Kunden.“ Möglich sei das etwa mit einer reformierten Kfz-Steuer. Heute werden Autos nach dem CO2-Ausstoß besteuert – zukünftig könne man, sagt Vietmeyer, den ganzen Lebenszyklus betrachten – und dabei auch berücksichtigen, wie viele Treibhausgase ein Fahrzeug bei seiner Produktion und der Stahlherstellung verursacht hat. Auch Dierk Raabe ist sich im Klaren, dass es mit der Entwicklung klimafreundlicherer Verfahren zur Eisen- und Stahlproduktion nicht getan ist: „Es braucht hier eine durchgehende Kette von der Grundlagenforschung bis hin zu einem guten betrieblichen Verständnis.“ Für den Umstieg auf eine CO2-ärmere oder gar CO2–neutrale Produktion von Eisen und Stahl müssen Unternehmen große Summen investieren. „Zu schnelle, möglicherweise falsche Entscheidungen können für sie existenzbedrohend sein“, sagt der Wissenschaftler.
Die Aufgabe ist jedenfalls riesig, denn weltweit wird in jedem Jahr die beinahe unvorstellbar große Menge von 1,8 Milliarden Tonnen Stahl verarbeitet – was knapp dem doppelten Gewicht aller Autos entspricht, die derzeit in Verkehr sind. Stahl nachhaltiger zu erzeugen, wäre also tatsächlich ein großer Hebel beim Klimaschutz. Doch es gebe noch mehr, sagt Raabe. Ein Riesenthema sei die Langlebigkeit. „Man schätzt, dass etwa 3,5 Prozent des weltweiten Bruttoinlandsproduktes allein durch Korrosion verloren gehen – das sind enorme Verluste, die sich vermeiden ließen, wenn Metalle, Bauwerke und Produkte langlebiger wären.“ Wie sinnvoll ein solcher Korrosionsschutz ist, zeige die Vollverzinkung von Autokarosserien. Sie führte dazu, dass Autos mittlerweile – anders als noch vor 30 Jahren – nicht mehr durchrosten. Zum Korrosionsschutz gehöre aber mehr als die Oberflächenversiegelung von Metallen, sagt Dierk Raabe. Viele Brücken zum Beispiel würden heute nach wenigen Jahrzehnten abgerissen, weil man nicht weiss, wie stark die Korrosion im Inneren schon fortgeschritten ist. „Es gibt weder Sensoren noch pH-Wert- oder Spannungsmessgeräte, die über den Zustand Auskunft geben – das ist Steinzeit.“ Für Raabe sind solche Instrumente heute ein Muss.
Neben dieser Messtechnik seien auch Metalle eine Lösung, die sich selbst heilen. Bei Kunststoffen gibt es das bereits. So werden in Bauteile zum Beispiel Kapseln eingeschmolzen, die flüssige Kunststoffzutaten enthalten, um bei Bedarf Risse zu kitten. „Solche Kunststoffe merken selbst, wenn ein Schaden auftritt. Aluminium oder Eisen sind noch nicht so weit – hier ist noch viel zu tun“, sagt Dierk Raabe. Immerhin: Erste Konzepte gibt es bereits. Beispielsweise ist vorstellbar, dass bei einer Schädigung Sauerstoff in das Material eindringt, wodurch sich feste Metalloxide bilden können, die kleine Schäden beheben. Auch können sich Poren in manchen Legierungen bei hohen Temperaturen durch atomare Transportprozesse selbst verschließen. So wurde Stahl in einer Arbeit, an der auch die Düsseldorfer beteiligt waren, in kleinen Mengen Molybdän beigemischt, das feine Poren wieder verschließen kann. Um in der Metallwirtschaft Treibhausgase einzusparen, ist es also ebenfalls ein sinnvoller Weg, Produkte zu erhalten statt neu zu bauen.